Das Corona-Virus hat unseren Alltag drastisch verändert. Das bringt viele Unsicherheiten, Ängste und Sorgen mit sich. Unsere Gutspfarrerin, Inka Baumann, möchte daher regelmässig Gedanken, Anregungen und Ideen zu diesem Thema teilen.

Vom “Ich” zum “Wir”

Heute fange ich einfach mal mit “Ich” an. Ich weiß, das gehört sich nicht.. Und trotzdem. Los geht’s:

Ich kann es nicht leiden, dass mir jemand vorschreiben möchte, ob ich das Haus verlassen darf oder nicht – Kontaktverbot heißt es oder sogar Ausgangssperre.
Keine Freundin umarmen, unsere Töchter, unsere Enkeltochter nicht sehen…
Ich kann es nicht leiden, dass plötzlich alle Veranstaltungen abgesagt sind bis zum 19. April, sogar unsere Gottesdienste, sogar Trauerfeiern. Unglaublich!
Ich kann es nicht leiden, dass unsere Polizei Menschen in der Öffentlichkeit befragt, wohin sie gehen und ihnen notfalls den Aufenthalt in der Öffentlichkeit verbieten.
Ich kann es nicht leiden, dass mir im Supermarkt vorgeschrieben wird, ob ich eine Kiste Milch nehme (wir sind in unserer Hofgemeinschaft 10 Personen und ein großer Hund) oder nur 2 Liter.

Ein unbehagliches Gefühl
Ich habe mich an die Autonomie – und zwar für alle – gewöhnt, die uns in den letzten Jahrhunderten mühselig erkämpft, erarbeitet, wurde, um eine – wie ich finde – grandiose Demokratie auf die Beine zu stellen. Unbehaglich ist mir, wenn in das Leben von uns Bürgerinnen und Bürgern in dieser Form eingegriffen wird.
Nicht, weil ich nicht gut zuhause arbeiten und sein kann.
Nicht, weil ich mich nicht darüber freuen kann, dass mein Mann und unsere Söhne zuhause sind.
Schon lange haben wir nicht mehr so viel Federball gespielt oder Basketball, schon lange haben wir nicht mehr so lange auf dem Sofa gesessen und erzählt. Oder einmal einen Film gemeinsam gesehen. Und in den letzten Jahren haben wir es nicht wirklich geschafft mit unseren 10 Personen eine regelmäßige Kaffeezeit um 16.30 Uhr zu genießen. Plötzlich klappt es, dass einer für alle einkauft und auch noch für die Nachbarn mit.
Das kann ich alles gut leiden..

Augen und Ohren für die kleinen Wunder
Aber es bleibt ein mulmiges Gefühl, „wenn in das Leben von uns Bürgerinnen und Bürgern in dieser Form eingegriffen wird.“ Und doch halten wir uns rigoros daran, weil wir wissen, dass uns niemand ärgern will, sondern weil es darum geht, aufeinander achtzugeben! Das ist doch die goldene Regel fürs Leben: Gott und deinen Nächsten wie dich selbst lieben, sagt Jesus. Das ist der Clou der christlichen Botschaft. Deinen Nächsten wie dich selbst…das geht nur, wenn wir glauben können, dass es da einen gibt, der die Welt im Innersten zusammenhält. Und dass er den Mann, der bei Edeka die letzten Toastbrote in seinen Einkaufswagen stopft, obwohl er sieht, dass ich mich auch gebückt habe, genauso im Herzen hat wie mich. Und ich möchte gerne glauben, dass er es war, der ihn dazu brachte, ein wenig schuldbewußt zu lächeln und mir eines von seinen Broten „schenkte“! In diesen Tagen geschehen ja einige Wunder!! Mehr als sonst? Vielleicht haben wir jetzt wieder mehr Ohren und Augen dafür?

Ich bin fasziniert, dass man Beatmungsgeräte aus dem 3D-Drucker bauen kann und erleichtert, dass wir mutig und barmherzig genug sind, welche abzugeben an Brüder und Schwestern in anderen Ländern.
Ich kann es gut leiden, dass so viele Menschen plötzlich kreativ werden, um füreinander zu sorgen: Nachbarschaftshilfen, Lieferdienste, nicht-mehr-unterschreiben-müssen bei Paketsendungen, Musik vom Balkon oder vor dem Küchenfenster, improvisierte Online-Fitnesskurse (nicht nur für Kinder), 50.000 Liter Alkohol für Desinfektionsmittel im Klinikum, einen Blumenstrauss für die Kassiererin, Dankeschönzettel in die Tür geklemmt, Applaus für sogenannte systemrelevante Berufe, Wertschätzung!

Ich danke allen, die in diesen Tagen für uns sorgen!
Männer, Frauen und Kinder, Ärztinnen, Pfleger und Sanitäter in Krankenhäusern, Praxen und Pflegeheimen, Polizisten, Mitarbeitende in Supermärkten und Apotheken, Nachbarn, Feuerwehren, Geschwister, Zuhörende, Freundinnen und Freunde, … Gott.

Ich bete für alle unter uns, die es in diesen Tagen ganz besonders brauchen:
Erkrankte und Trauernde, Einsame und Deprimierte, Panische und Wütende, Geschieden-verwaiste, um ihre Existenz-Bangende, Menschen auf der Strasse und in den Ländern, in denen sich niemand regelmäßig die Hände waschen kann. Ich bete für Zupackende und Lassende, für Beterinnen und …
Gerne auch für Sie!

Bleiben Sie behütet,
Ihre Inka Baumann, Gutspfarrerin

Tel.: 05305/9120018;
E-Mail: i.baumann@gv-reinau.de