Neun Stipendiaten der Koldewey-Gesellschaft erforschen derzeit die Kirche auf dem Rittergut Lucklum. Die Studierenden der Architektur werden unterstützt von Wissenschaftlern der TU Braunschweig, der Universität Hamburg und des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege. Wir sprachen mit Professor Dr. Alexander von Kienlin, Leiter des Instituts für Baugeschichte und Vorsitzender der Koldewey-Gesellschaft, über die Summerschool, die Besonderheiten des Rittergutes und die Gradwanderung zwischen Alt und Neu bei Umbauten oder Sanierungen.

Bei Umbau und Sanierung gilt es, sorgsam abzuwägen

Professor von Kienlin, Sie leiten das Institut für Baugeschichte an der TU Braunschweig. Wo ist das Institut zu verorten und welche Inhalte werden gelehrt?
Von Kienlin: Das Institut für Baugeschichte ist ein Teil der Fakultät Architektur, Bauingenieurwesen und Umweltwissenschaften. Wir vermitteln den Studierenden ein Grundverständnis für historische Architektur. Dabei geht es unter anderem um Gestaltung, bauhistorische Fragen, die Einordnung von Bauten in die großen kulturgeschichtlichen Zusammenhänge, Denkmalpflege. Angehende Architekten sollen so zu Analyse und Bewertung historischer Bauten und Bestände befähigt werden. Das Verständnis für die historische Entwicklung ist meines Erachtens elementar, wenn es um den Umgang mit historischer Bausubstanz geht.

Sie sind auch Vorsitzender der Koldewey-Gesellschaft und haben die Summerschool ins Leben gerufen und erstmalig realisiert. Welche Zielsetzung verfolgen Sie damit?
Von Kienlin: Gerade bei denkmalpflegerischen Fragen, die im Zusammenhang mit Umbau und Sanierung historischer Gebäude auftreten, ist es mittlerweile schwierig, Experten zu finden. Die Koldewey-Gesellschaft hat in erster Linie die bauhistorische Forschung im Blick. Mit der Summerschool möchten wir den Nachwuchs im Bereich Bauforschung und Denkmalpflege fördern – und zudem vertieftes Wissen für Masterstudenten anbieten. Auf diese Weise unterstützen wir unter den angehenden Architekten diejenigen, die später als Berater oder Gutachter tätig sein werden und dann ihr Wissen entsprechend einbringen können. Die Summerschool ist zudem ein Angebot für Studierende an Hochschulen, die keine eigene Bauforschung betreiben.

Wieso haben Sie für die Summerschool das Rittergut ausgewählt?
Von Kienlin: Zum einen besteht zwischen der TU Braunschweig und dem Rittergut Lucklum schon seit längerem eine erfolgreiche Kooperation. Darüber hinaus ist die Anlage aus bauhistorischer Sicht sehr vielfältig. Zum Ensemble gehören zahlreiche hochrangige Bauten wie etwa die Kirche, das Gutshaus oder auch Gebäude jüngeren Datums wie das ehemalige Hospital. Sie zeichnen sich durch eine – im Blick auf ihre Entstehungszeit – hohe bauliche Qualität sowie ihren überdurchschnittlichen Gestaltungsanspruch aus. Die Gebäude sind zudem in einem vergleichsweise guten Zustand und nicht übersaniert. Es handelt es sich außerdem um eines der wenigen großen Güter, das kontinuierlich genutzt wurde. Für die Studierenden ist die Gutskirche ein sehr interessantes Objekt. Sie können hier nicht nur viel Praxiserfahrung und Wissen sammeln, sondern auch netzwerken, sich austauschen und dabei ihren ganz persönlichen Erfahrungshorizont mit einbringen. Sehr positiv ist auch die gute Zusammenarbeit mit dem Rittergut. Die Offenheit und das große Interesse an den Bauten – das ist ein Glücksfall.

Herr von Kienlin, wie gehen Sie und Ihre Kollegen bei der Erforschung historischer Bauten vor?
Von Kienlin: Für uns geht es darum, das Objekt zu entschlüsseln. Welche Elemente gibt es? Aus welchen Epochen stammen sie? Wie sah der Bau im Ursprungszustand aus? Das sind die Fragen, die wir uns am Anfang stellen und das ist die wichtigste Phase. Dabei gilt: Je älter das Bauwerk, umso komplizierter ist die Baugeschichte. Auf der Basis dieser Grundlagenforschung kann man dann Empfehlungen für den planerischen Umgang mit dem Objekt geben. Also: Was soll man erhalten, was kann man notfalls opfern, wenn die Nutzung es erfordert? Das ist oft eine schwierige Gradwanderung, gerade wenn es um wichtige Anforderungen geht wie etwa einen behindertengerechten Aufgang, eine Heizung oder den Brandschutz. Hier muss man genau abwägen, wie weit man gehen kann. Den Bau ganz praktisch auf seine Ursprünge zurückzuführen, das ist heute allerdings nicht mehr Ziel der Bauforschung. Jeder Einbau ist historisch interessant und schützenwert als Reflektion einer Zeitschicht.

Wie sieht die Arbeit konkret in der Gutskirche aus?

Von Kienlin: Wir schauen hier, wie sah die ursprüngliche Kirche aus bevor sie dem Deutschen Orden übertragen wurde. Wann wurden Dach, wann die Decke, wann die Bemalung realisiert? Das alles wollen wir zeitlich und kulturgeschichtlich einordnen. Bei der Emblematik etwa zeigt sich ein sehr hohes Niveau der kulturellen Entwicklung: Das Rittergut Lucklum war europaweit vernetzt und absolut up to date.

Welche verwertbaren Erkenntnisse könnte es darüber hinaus nach der Summerschool für das Rittergut geben?
Von Kienlin: Neben den sicherlich interessanten und umfangreichen Forschungsergebnissen profitiert das Rittergut zudem von den Kenntnissen der vielen Experten aus den unterschiedlichen Disziplinen. Bei Bedarf werden wir auch gerne Handlungsempfehlungen für den Fall geben, dass die Kirche wieder vermehrt und anders als bisher genutzt werden soll. Im Idealfall wird es eine kleine wissenschaftliche Publikation zur Gutskirche geben. Und natürlich würden wir uns freuen, die bauhistorische Forschung auf dem Rittergut auch in Zukunft fortzuführen.