„Ich habe gehört, es geht ihr nicht gut?“, sagt sie. „Wieso?”, frage ich. „Was meinen sie?“ „Na ja, ich habe gehört, sie ist, sie hat… Mein Gegenüber traut es sich gar nicht auszusprechen. Ja, sie ist dement.

Demenz. Oder: Wenn geliebte Menschen eine andere Sprache sprechen

Aber es geht ihr gut. Sie spricht nur eine andere Sprache. Zumeist die des Gefühls, der Erinnerungen, der spontanen Ideen. Eine Stichwortverknüpfung vielmehr, hervorgerufen durch ein einzelnes Wort – einen Namen, einen Duft, eine Stimme, das Zwitschern eines Vogels, die Bäume vor dem Haus, das Brummen eines Motors, Farben, Blumen, Bilder – überrascht sie mit Erinnerungen aus ihrem Leben.

Sie singt. Sicher hat sie schon mehr Lieder vergessen, als andere je in ihrem Leben kannten. Immer noch die zweite Stimme von „Großer Gott, wir loben dich“, von „Wir lieben die Stürme, die brausenden Wogen.” Wunderbar! Sie hat viel Liebe geschenkt und tut es noch. Manchmal hat sie Angst einen Geburtstag zu vergessen oder einen besonderen Anlass, also gratuliert sie einmal mehr. Sie hat sich verausgabt in Meinungen und Liebe, hat polarisiert und umarmt, Menschen, die Welt, Leid und Lachen. Sie hat das Feiern geliebt, Gott, das Meer und den Wind. Aber sie konnte immer auch schon gut allein sein, raus aus dem Trubel, hinein in die Stille. Sie betet. Weniger mit Worten als mit dem Herzen.

Manchmal sagt sie: “Am Montag müssen wir aber zum mal zum Arzt.“ Warum? „Der muß mir was für meinen Kopf verschreiben.“ Für ihre Enkel ist sie immer noch eine der klügsten und liebsten Menschen, die sie kennen. Wie kurzsichtig und vermessen sind wir, wenn wir glauben, die Sprache der Vernunft und der sogenannten stringenten Argumentation sei die einzig wahre, die richtige, die gesunde. Das ist verrückt! Ihr Taufspruch lautet: „Denn der Herr, dein Gott, ist bei dir, ein starker Heiland. Er wird sich über dich freuen und dir freundlich sein, er wird dir vergeben in seiner Liebe und wird über dich mit Jauchzen fröhlich sein.“ (Buch des Propheten Zephanja, Kapitel 3, Vers 17).

Bleiben Sie behütet,
Ihre
Inka Baumann, Gutspfarrerin