Im Gespräch mit HBK-Professor Thomas Rentmeister

 20 Räume, 29 Kunst-Studierende, ein Gutshaus – und ganz viel Kreativität! Das ist die Basis für eine außergewöhnliche Ausstellung, die derzeit auf dem Rittergut Lucklum in Kooperation mit der Hochschule für Bildende Künste (HBK) und der Braunschweigischen Landschaft e.V.entsteht. Ermöglicht wird das Projekt unter anderem durch Zuwendungen seitens des Landkreises Wolfenbüttel. Unter Projektleitung – und mit eigener Beteiligung – von Professor Thomas Rentmeistersowie der Lehrbeauftragten Svenja Kreh entsteht dabei Kunst direkt vor Ort – und wird dort vom 6. November bis zum 2. Dezember im Rahmen einer Ausstellung zu sehen sein. Wir sprachen mit Professor Thomas Rentmeister über den Titel, den Reiz und die Besonderheit dieses Pilotprojekts.

Herr Rentmeister – Kunst entsteht direkt vor Ort auf einem Rittergut. Was reizt Sie und Ihre Studierenden an dieser Aufgabe?
Der Reiz beginnt schon beim Wort Rittergut und im Mittelpunkt stehen die Räume, die diesen Begriff großzügig einlösen. Unsere Aufgabe haben wir uns vor dem Hintergrund des Ausstellungsstellungstitels gestellt, zu dem wir von einer Inschrift am Beichtstuhl in der Gutskirche inspiriert wurden: Interiora patent – das Innere liegt offen. Dabei machen die unterschiedlichen Stile der Gebäudeinterieurs in der riesigen ersten Etage, in der die Ausstellung stattfinden wird, den besonderen Reiz aus: der Schwebezustand zwischen alter und neuer Nutzung, zwischen historischer Existenz seit Jahrhunderten – unter anderem auch als Wohnung für die ehemaligen Gutsbesitzer – und der Nutzung für öffentliche Veranstaltungen in den letzten ein, zwei Jahren. In diesen Zwischenraum wollen wir hineinarbeiten.

Inwiefern dient der Titel als Vorlage oder auch begrenzende Leitlinie für die entstehende Kunst?
Die bisher zum größten Teil privat genutzten Räume des Gutshauses werden durch die Ausstellung einer Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Auf diese Situation der temporären Umnutzung als Ausstellungsraum sollen sich die Arbeiten beziehen, eng gefasste inhaltliche Vorgaben gibt es dabei aber keine. Dennoch ist bei Gruppenausstellungen vor allem das Zusammenspiel der einzelnen Werke wichtig, in der Klasse wird daher ausgiebig darüber diskutiert. Die Präsentation wird so lange optimiert, bis die fertig bespielten Ausstellungsräume ein stimmiges Gesamtbild ergeben.

Was ist das außergewöhnliche an diesem Pilotprojekt?
Für unsere Klasse ist das Projekt bisher einzigartig. In dieser Form und in diesem Umfang haben wir so etwas noch nicht realisiert. Die Situation, in einer solch außergewöhnlichen Umgebung arbeiten und vor allem währenddessen auch wohnen zu dürfen, ist schon eine besondere.

31 Individualisten, deren Einzelarbeiten in einer Gruppenausstellung funktionieren sollen. Wie lässt sich das vereinbaren?
Die Ausstellung soll als Parcours, als Weg, funktionieren. Die Abfolge von kleinen und großen, von prächtigen und einfachen Räumen soll dabei durch rhythmische Platzierung der ebenfalls höchst unterschiedlichen künstlerischen Arbeiten eine Bühne für einen dramaturgisch spannenden Ausstellungsbesuch darstellen. Eine besondere Herausforderung ist in diesem Zusammenhang die Beleuchtungssituation, denn die Räume haben in ihrem derzeitigen Provisorium noch kein professionelles, museales Beleuchtungssystem. Die dunkle Jahreszeit erfordert daher auch in diesem Bereich kreatives Potenzial.

Zur Frage nach den Individualisten: Im Laufe der Vorbereitung wächst so eine Gruppe erfahrungsgemäß zusammen – und es entwickelt sich ein Gemeinschaftsgefühl. Ich sehe mich in diesem Zusammenhang als Moderator, der die verschiedenen Ingredienzien zu einem für den Besucher schmackhaften Gericht zusammenfügt. Kunst ist auch in dieser Hinsicht viel Arbeit!

Künstlerisch arbeiten in einem Gutshaus. Wie organisiert man das?
Die Klasse hat das Rittergut im Vorfeld mehrfach besichtigt und sich mit seiner Geschichte auseinandergesetzt. Einige Studierende haben Elemente ihrer Arbeiten – oder auch komplett fertige Arbeiten – in den Ateliers an der HBK vorbereitet, die meisten aber erstellen ihr Werk vor Ort. Letztendlich kann man so eine große Ausstellung nicht vollständig vorausplanen. Diesen Fehler machen die großen Museen sehr oft, vielleicht auch, weil sie Angst vor Chaos haben und sich eine gewisse Offenheit nicht leisten können oder wollen. Bei unserer Ausstellung ist bis zu einem gewissen Grad die Möglichkeit der Flexibilität gegeben und wir werden so lange herumprobieren, bis ein Optimum erreicht ist. Am wichtigsten ist dabei das Gespräch, in dem ich die Künstlerinnen und Künstler beispielsweise davon zu überzeugen – nicht zu überreden – versuche, dass ein kleiner Nebenraum als Ausstellungsraum genauso wirkungsvoll sein kann wie der große Rittersaal.

Sie selbst leiten das Projekt nicht nur, sondern sind auch künstlerisch tätig. Um was wird es dabei gehen?
Für mich selber habe ich ein kleines, normalerweise als Abstellraum genutztes Kabuff mit einem großen Wasserfleck an der Wand ausgewählt, weil ich bei dem soeben angesprochenen Thema mit gutem Beispiel vorangehen wollte. An einer der Wände wird eine ganz neue Arbeit von mir stehen: ein uraltes gefundenes Ikea-Regal aus Metall, bei dem der vergilbte weiße Lack an vielen Stellen sein rostiges Inneres freigibt – eine Topographie pittoresker Wunden.

Inwiefern profitieren die Studierenden von dieser besonderen Ausstellung?
Der Lerneffekt bei einer solchen Ausstellung ist sehr groß. Die Studierenden bekommen ein Gefühl dafür, was geht, was nicht geht, was gute Kunst ist, wie man diskutiert und vieles andere mehr. Und lernen natürlich auch die Abläufe so einer umfassenden Ausstellung kennen, den Prozess des Entstehens und wie viele einzelne Werke zu einer Gruppenausstellung zusammenwachsen. Mir ist vor allem aber auch daran gelegen, dass sie den sozialen Umgang mit ihren Kolleginnen und Kollegen in solchen Situationen zu pflegen lernen. Das Ego steht bei gemeinsamen Ausstellungsvorhaben an zweiter Stelle, oder anders gesagt: Die einzelnen Arbeiten können nur profitieren, wenn das Projekt als Ganzes gut funktioniert.

Worauf können sich die Besucher der Ausstellung freuen?
Wir vereinen in unserer Klasse ein breites Spektrum künstlerischer Positionen: Skulptur, Installation, konzeptuelle Ansätze, Video, Zeichnung und seit kurzem sogar mal wieder richtige Malerei – ja, mit bunten Farben! Ich habe gelernt meine Berührungsängste in diesem Bereich zu überwinden und freue mich sehr auf die Arbeiten unserer diesjährigen malenden Neuzugänge aus den Grundklassen. Die Ausstellung wird also eine große Vielfalt bieten. Darüber hinaus bin ich mir sicher, dass allein die Fülle der Arbeiten die Besucher überraschen – und hoffentlich begeistern – wird. Es wird also eine Menge zu sehen geben. Ich denke, die Ausstellung wird darüber hinaus auch auf Lucklum ausstrahlen. Nicht, dass es eine Revolution gäbe, aber im Idealfall wird sie in dem einen oder anderen Kopf etwas verändern. Meine Klasse ist jedenfalls fasziniert von diesem besonderen Ort und besonders auch von der freundlichen Stimmung im Rittergut gegenüber unserer Gruppe. Das wird sicherlich auch in den Arbeiten zum Ausdruck kommen.

Kurz-Vita

Prof. Thomas Rentmeister lehrt seit 2007 an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig, zunächst im Rahmen einer Gastprofessur, seit 2009 als Professor für Skulptur. Er lebt und arbeitet in Berlin und Braunschweig.

Rentmeister studierte von 1987 bis 1993 an der Kunstakademie Düsseldorf bei Günther Uecker und Alfonso Hüppi und schloss sein Studium als Meisterschüler ab. Er hat an zahlreichen Ausstellungen auf nationaler und internationaler Ebene teilgenommen: Unter anderem hatte er Einzelausstellungen im Museum Abteiberg Mönchengladbach, im Hamburger Bahnhof, im Museum Boijmans van Beuningen, im Kunstmuseum Bonn, sowie im Perth Institute of Contemporary Arts. Im Jahre 2002 erhielt er eine Gastprofessur an der Universität der Künste in Berlin, bevor er dann in Braunschwieg seine Tätigkeit aufnahm.